Warum hat es die Stadt Köln so eilig, die Bäume an der Bonner Straße abzusägen?
Die Bäume stehen noch in ihrem bunten Herbstlaub, für die Gespräche zwischen der Stadt und den Bürgerinitiativen formulieren Verkehrsplaner weitere Details zu den alternativen Plänen, die eigentlichen Bauarbeiten beginnen erst im nächsten Frühjahr, die Durchfahrt der neuen Bahn auf der Bonner Straße zum Hauptbahnhof kann frühestens im Jahr 2024 erfolgen, der OVG–Beschluss ist gerade zwei Werktage alt, da beginnt die Stadt Köln - gegen den ausdrücklichen Willen von Bürger und Bürgerinitiativen und ohne Not - die Fällungen der Bäume an der Bonner Straße.
Warum so schnell? Warum so eilig?
Die Fällungen der ersten fünf Bäume beginnen gegen den Widerstand der Bevölkerung am Freitag, dem 20. Oktober. Der nächste Tag der Fällung ist der Sonntag, 22. Oktober. Im heiligen Köln ist der Stadtverwaltung, in ihrer Eile vollendete Tatsachen zu schaffen, noch nicht einmal die Sonntagsruhe heilig.
Die Frage, die sich daraus ergibt: Warum macht die schwer kritisierte Stadtverwaltung so etwas? Warum überrumpelt und brüskiert sie Bürger und Bürgerinitiativen in dieser Art?
Hat die Stadt etwa Angst vor weiteren Recherchen durch die Bürgerinitiativen?
Möchte sie die unbequemen Bürgerinitiativen endlich mundtot machen, indem sie Tatsachen schafft?
Das Gericht hat zwar mit sehr zweifelhaften Gründen zu Gunsten der Baumfällungen entschieden, aber insgesamt, unter Berücksichtigung aller Fakten, steht die Stadt mit diesem Projekt trotzdem immer noch auf ganz dünnem Eis.
Denn im Laufe der Recherchen zu dem Projekt Nord-Süd-Bahn, zu der Art wie das Projekt eingestielt worden war, zu den Planungsschwächen, die immer deutlicher wurden, zu den Planungsalternativen und zu der Finanzierung gab es immer wieder Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten.
Zu den sonderbarsten Merkwürdigkeiten auf die wir stießen, gehört die Entwicklung des sog. Kosten-Nutzen-Faktors, einer mathematische Größe, die den volkswirtschaftlichen Nutzen der Bahn im Verhältnis zu den aufgewandten öffentlichen Geldern darstellen soll. Fällt der Kosten-Nutzen-Faktor unter eins, bedeutet das, dass dieses Projekt nicht mehr zu bezuschussen ist, es würde die Förderungswürdigkeit verlieren. Das beantragte Geld würde ausbleiben.
Seit geraumer Zeit können wir uns des Verdachts nicht erwehren, dass die Stadt Köln - und zwar alle verantwortlichen Parteien im Stadtrat und die Stadtverwaltung - hier nicht agiert, um für die Bürger der Stadt eine sinnvolle Infrastrukturmaßnahme (hier 3. Baustufe) zu realisieren, sondern um damit Gelder (für den Bau der Nord-Süd Stadtbahn) zu erschleichen.
Indizien dafür sind:
- die angegebene geringe Höhe der ursprünglich geplanten Baukosten für alle drei Baustufen von 550 Mio. EUR, gegenüber den aktuellen Kosten von ca. 1,292 Mrd. EUR,
- die Planfeststellung der drei Baustufen NACHeinander, so dass ab der 2. Baustufe gedroht werden konnte, erhaltene Fördergelder zurückzahlen zu müssen,
- keine Bereitschaft in den letzten 7 Jahren, sinnvolle Änderungen in die Planung aufzunehmen, weil dadurch ggf. der Nutzen-Kosten-Indikator neu berechnet werden könnte,
- die Begrenzung des 90%-Zuschusses (60% Bund und 30% Land NRW) auf rund 795 Mio. EUR (das sind nicht einmal 62% der Gesamtkosten),
- kein Hinweis der Stadt Köln, dass diese statt 10% von 550 Mio. EUR ( also 55 Mio. EUR) bereits 497 Mio. EUR selbst zu tragen hat, zuzüglich bis zu 617 Mio. EUR Zinsen für den erhöhten Kapitalbedarf. Nicht eingerechnet der Schaden für das Historische Archiv in Höhe von 1,2 Mrd. EUR und die Untersuchungskosten in Höhe von 125 Mio. EUR,
- die Verlängerung der Bauphase auf der Bonner Straße (2,1 km) von zwei auf mehr als fünf Jahre, um wahrscheinlich einen verlustreichen Teilbetrieb der Stadtbahn auf der Bonner Straße hinauszuzögern.
Sehen wir uns die Entwicklung des Kosten-Nutzen-Faktors über die letzten 18 Jahre an:
Die Finanzierung der Nord-Süd Stadtbahn Köln und die finanzielle Förderung durch Zuschüsse von Land und Bund ist abhängig von einem Nutzen-Kosten-Indikator. Dieser wurde zusammen für die 1., 2. und 3. Baustufe ermittelt und muss mindestens über 1 liegen. Eingerechnet wird in diesem Faktor neben den Kosten auch das von der Stadt geschätzte zukünftige Fahrgastaufkommen und die kürzere Fahrzeit gegenüber den heute verkehrenden Bussen. Die Bahn soll, laut KVB-Werbung, in 13 Minuten vom Bonner Verteiler bis zum Hauptbahnhof fahren.
Der Nutzen-Kosten-Indikator wurde im Jahr 2000 berechnet und lag damals bei 1,4. Im Jahr 2007 erfolgte eine Aktualisierung der Standardisierten Bewertung für diesen Nutzen-Kosten-Faktor. Diese beruhte lediglich auf einer Anpassung der Kosten, d.h. der Mehrkosten der 1. Baustufe, der Mehrkostenanzeigung sowie den damaligen Kosten für die 2. Baustufe. Es sollen dabei keinerlei Betriebsdaten – weder Fahrgastzahlen noch Reisezeiten – angepasst worden sein. Der Nutzen-Kosten-Indikator war danach, unter Berücksichtigung der geschätzten Kosten für die 3. Baustufe, bereits auf 1,06 gesunken.
Zwei Jahre später wurde das Historische Archiv der Stadt Köln durch die Bauarbeiten für die 1. Baustufe zerstört. Darüber hinaus waren an über 300 Häusern entlang der Strecke Schäden infolge der Tunnelarbeiten festgestellt worden. Dort musste die Stadt Köln Ausgleichs- und Reparaturmaßnahmen bezahlen.
2013 wurden zusätzliche Arbeiten an der Teilstrecke am Dom erforderlich, um Vibrationen und eine minimale Schallübertragung im Kölner Dom zu beenden.
Die durchgehende Inbetriebnahme der Tunnelstrecke, ursprünglich im Jahr 2011 vorgesehen, verzögert sich aller Voraussicht nach um 13 Jahre. Wie wird diese verlorene Zeit in den Kosten-Nutzen-Faktor eingerechnet?
Der Betrieb auf der nördlichen (vom Bahnhof bis Heumarkt) und auf der südlichen Teilstrecke (Severinstraße bis Rheinufer) des Tunnels verursacht hohe Kosten bei nur geringen Fahrgastzahlen.
Die voraussichtlichen Fahrgastzahlen nach Fertigstellung und Nutzung der Gesamtstrecke mussten hinsichtlich der Umsteiger vom Pkw in die Bahn im unmittelbaren Bereich der Bonner Straße bereits nach unten korrigiert werden.
Eine hohe Geschwindigkeit der Bahn im oberirdischen Bereich sollte durch ein eigenes Gleisbett und den Wegfall von zwei Haltestellen erreicht werden. Im Planfeststellungsbeschluss wurde die Höchstgeschwindigkeit, die die Bahn auf der Bonner Straße fahren darf, jedoch auf 50 km/h begrenzt. Die nachträgliche Änderung der Bahnsteige von der Außen- in die Mittellage erfordert ein Aufweiten der Gleise vor den Haltestellen und ein Zusammenführen dahinter. Diese Streckenteile müssen noch langsamer befahren werden, weil sonst die Sicherheit stehender Fahrgäste gefährdet wäre.
Die Absenkung des Nutzen-Kosten-Indikators von 1,4 auf 1,06 zwischen den Jahren 2000 und 2007 wurde auf die nicht unerheblichen Kostenerhöhungen zurückgeführt. In Mitteilungen der Stadt Köln vom 10.12.2015 wird festgestellt, dass der Nutzen-Kosten-Indikator noch bei 1,05 läge.
Die Kostensteigerungen zwischen 2007 und 2015, die Teilbetriebe in den Tunnelsackgassen und die Änderungen bei den Fahrgastzahlen und den Reisezeiten lassen eine Verringerung des Nutzen-Kosten-Indikators um nur 0,01 als als deutlich zu gering erscheinen.
Kommt hinzu, dass die Höhe der zuschussfähigen Kosten begrenzt wurde, so dass für die Nord-Süd-Bahn maximal 795 Mio. EUR (von 1,292 Mrd. tatsächlichen Baukosten) als Zuschuss zur Verfügung stehen.
Bereits am 27.01.2017 wurde die Stadt Köln schriftlich angefragt, welche Person bzw. welche Behörde verantwortlich ist, die Einhaltung des Förderfaktors (Nutzen-Kosten-Indikator) zu überwachen. Bis heute ist hierzu keine Antwort erfolgt.
Aus diesem Grund wurde am 23.10.2017, im Rahmen des freien Zugangs zu behördlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, nachfolgende Auskunft bei der Stadt Köln und der Nahverkehr Rheinland GmbH (zuständig für die Fördergelder) sowie nachrichtlich bei den Fraktionen des Stadtrates, den Prüfungsämtern des Bundes, des Landes und der Stadt Köln beantragt und um Weiter-leitung an die zuständige Stelle gebeten, falls diese nicht unter den Adressaten genannt ist.
Auf welchen Grundlagen beruht der Nutzen-Kosten-Indikator für die Nord-Süd Stadtbahn (1., 2. und 3. Baustufe)?
Welche Fahrgastzahlen werden aktuell für die Berechnung zugrunde gelegt?
Welche Reisezeiten werden aktuell für die Berechnung zugrunde gelegt?
In welcher Höhe werden Risikozuschläge (zweifelhafte und nicht einbringliche Schadensersatzforderungen, z.B. wegen des Einsturzes des Historischen Archivs, der Schäden an über 300 Häusern) berücksichtigt?
Wie werden die Verluste für den Teilbetrieb von Strecken (Nordtunnel/Südtunnel) berücksichtigt?
Wie hoch werden die Kosten für das Gleiswechselwerk, 28 m unter dem Waidmarkt, veranschlagt und welche Kostensteigerung wird es durch die mindestens 15 Jahre spätere Erstellung geben?
Welche Kostenanteile der Gesamtkosten gibt es? Die Stadt Köln unterteilt die Kosten in:
- die Gesamtkosten,
- die stadtbahnbedingten Kosten,
- die nicht-stadtbahnbedingten Kosten,
- die Mehrkosten,
- die zusätzliche Mehrkosten,
- die Projektkosten,
- die Projektnebenkosten,
- die Vorbehaltsbeträge,
- die zuschussfähigen Kosten,
- die nicht-zuschussfähigen Kosten,
- die zuwendungsfähigen Kosten,
- die nicht-zuwendungsfähigen Kosten,
- die auf die Stadt entfallenden Kosten,
- den Kostendeckel und über den Kostendeckel hinausgehende Kosten u.s.w.
Wie hoch sind diese Kosten für alle drei Baustufen und wie werden sie in der Berechnung des Nutzen-Kosten-Indikators berücksichtigt?
Welche Auswirkungen hat die Begrenzung der zuschussfähigen Kosten hinsichtlich des Nutzen-Kosten-Indikators?
Werden noch die Gesamtkosten oder nur die zuschussfähigen Kosten oder eine andere Zusammenstellung von Kosten in die Berechnung einbezogen?
Wie hoch sind die Gesamtkosten (alle Kostenanteile, einschließlich des Umbaus der Bonner Straße und der Herstellung des Gleiswechselwerks unter dem Waidmarkt) für die Stadt Köln kalkuliert?
Hier der original Artikel von Andreas Wulf
Andreas Wulf
Ottmar Lattorf