Naturparadies im Kleinformat: Brachfläche Raderberg

Auszug aus dem Buch "Kölner Naturführer - Wege zur Natur in der Großstadt" (Wienand Verlag: Köln 1990), Seite 156

"Ungelenkte Natur hat in der Großstadt sicherlich Seltenheitswert. Den Kontrast zu festgelegter Wegeführung, ausgesuchtem Pflanzenprogramm und beständiger Flächenpflege kann man im Kölner Süden gleichsam hautnah erleben: Der Vorgebirgspark sieht in seiner formalen Strenge etwas militärisch aus - die angrenzende Raderberger Brachfläche erscheint dagegen wie das Leben selbst.

In den Jahren 1909-1911 entstand zwischen den Kölner Vororten Raderberg und Raderthal der Vorgebirgspark und damit erstmals ein verbindender Grünzug in radialer Richtung. Unmittelbar an seine nordöstliche Flanke schließt sich ein seit mehreren Jahren aufgelassenes Kleingartengelände an. Hier befand sich früher auch der Botanische Garten [...]. Die Gartennutzung wurde aufgegeben, weil seitens der Stadt Köln Planungen bestehen, die Straße Am Vorgebirgstor bis zur Marktstraße über diese Fläche hinweg zu verlängern. Das Brachland nimmt eine Fläche von etwas mehr als 7,5 ha ein und wird begrenzt von der Vorgebirgsstraße, dem Bischofsweg und der Kreuznacher Straße.

Das Raderberger Gelände ist eine der größten städtischen Brachflächen - eine Flächenkategorie, auf die ein Anteil von etwa 3% der gesamten Stadtfläche oder rund 1500 ha entfallen. Gemeinsames Merkmal dieser Flächen ist, daß sie keiner intensiven Nutzung oder Pflege unterliegen. Folglich können bestimmte Artengefüge und Lebensgemeinschaften völlig spontan zusammenfinden und sich zumindest eine Zeitlang ohne den lenkenden oder störenden Einfluß des Menschen entwickeln. Bei der Bewertung dieser Lebensgemeinschaften darf jedoch nicht übersehen werden, daß sie ihren Biotop ausschließlich dem Wirken des Menschen verdanken.

Die hier siedelnden Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften werden unter der Sammelbezeichnung Ruderalvegetation zusammengefaßt. Sie repräsentieren bestimmte Entwicklungsstadien eines Biotops auf dem Weg seiner Renaturierung. Planerisch werden die Ruderalstandorte häufig als Ödland oder gar als Unland bezeichnet - ein Begriff, mit dem sich unterschwellig die Einschätzung der Minderwertigkeit oder Wertlosigkeit verbindet. Diese durchaus unangemessene Bewertung wird der ökologischen Funktion von Brachland im Gesamtlebensraum Stadt mit Sicherheit nicht gerecht. Immerhin ist zu bedenken, daß zahlreiche Arten der Natur- und Kulturlandschaft gerade im aufgelassenen, verbrachten Nutzland Lebensbedingungen finden, die anderwärts nicht mehr bestehen (Rückzugslebensraum) oder umgekehrt auch ein besonderes Kennzeichen des Lebensraumgefüges Großstadt sind (Ausbreitungsposten).

In jedem Fall bilden die Brachflächen artenreiche und daher besonders schutzwürdige Biotope, die für viele Arten als Verbreitungsinseln von besonderer Bedeutung sind. Wie das Beispiel der Raderberger Brache zeigt, können sich solche Flächen schon nach relativ kurzer Zeit mit einem buntblumigen Flor überziehen und daher durchaus auch ein dekoratives Element aufweisen.

Mehr als 200 verschiedene Pflanzenarten sind bislang von der Brache am Vorgebirgspark nachgewiesen. Darunter finden sich so bemerkenswerte Arten wie die Osterluzei (Aristolochia clematitis), die Geiraute (Galega officinalis), das Aufrechte Glaskraut (Parietaria officinalis), der Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense), die Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum) oder das recht selten gewordene Eisenkraut (Verbena officinalis). Die Raderberger Pflanzenliste weist ausgesprochene Wärmezeiger auf, wie den aus dem Mittelmeerraum stammenden Schmalblättrigen Doppelsamen (Diplotaxis tenuifolia). Weitere typische Adventivarten sind die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis), die schon seit vielen Jahrzehnten im Gebiet Fuß gefaßt hat, oder das ungleichzähnige Greiskraut (Senecio inaequidens), das erst in jüngster Zeit auf die städtischen Ruderalflächen vordringen konnte.

Brachflächen erweisen sich bei näherem Hinsehen immer als Pflanzenstandorte, an denen man interessante verbreitungstechnische und auch verbreitungsgeschichtliche Beobachtungen anstellen kann. Andererseits sind solche Artenensembles auch die Lebensstätten einer großen Anzahl von Klein- und Kleinsttieren, die ebenfalls unseren besonderen Schutz benötigen.

Das reichhaltige sommerliche Blütenangebot der Raderberger Brache lockt zahlreiche Hautflügler, Käfer und Schmetterlinge an, die man sonst im Lebensraum Stadt kaum (noch) erleben kann. Wegen ihrer vielschichtigen ökologischen Bedeutung ist diese Fläche als geschützter Landschaftsbestandteil ausgewiesen und somit durch das nordrhein-westfälische Landschaftsgesetz besonders geschützt."

Aus: Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NRW/Hermann Josef Roth (Hg.): Kölner Naturführer. Wege zur Natur in der Großstadt (Wienand Verlag: Köln 1990).